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Die Ewigkeit ist vorbei

Ich erinnere mich an das erste Bücherpaket, das mir zugestellt worden ist, vor knapp fünfzehn Jahren. Mein Erstlingsroman, „Das Spektrum des Grashalms“. Wahrscheinlich eines der schlechtesten Bücher, die je geschrieben wurden. Es streckt sich nach einer Größe, die außerhalb seiner Reichweite liegt, wie ein Kind, das sich auf Zehenspitzen nach Süßigkeiten oben am Regal streckt. Was Sinn ergibt, wenn die Finger fast rankommen. Wenn die verbleibende Spanne einen Meter beträgt, wirkt es befremdlich. Verwirrend. Erheiternd.

 

Blättere ich das Buch heute auf, lächle ich über mich. Aber damals war ich ekstatisch. Der Augenblick, in dem ich das Paket aufschnitt und das blau-weiße Cover sah, mit meinem Namen drauf, gehört zu den glücklichsten meines Lebens. Ich hatte ein Buch veröffentlicht! Ich durfte mich mit Fug und Recht Schriftsteller nennen. Wäre eine Club-Plakette mitgeliefert worden, mit Sicherheitsnadel hinten dran, ich hätte sie gar nicht mehr abgenommen.

 

Und nun schneide ich das Paket meines zwölften Buches auf. Die Ewigkeit ist vorbei. Gedichte. Was bedeutet: Kurztexte. Was bedeutet: Teebeutel, die von Leserinnen und Lesern mit dem kochenden Wasser ihrer Imagination aufgebrüht werden. Das Gefühl ist immer noch schön. Die neuen Bücher in der Hand zu halten. Der Geruch nach frischem Papier und Druckerfarbe. Aber es mischt sich auch ein Schuss Wehmut dazu.

 

Bereits jetzt, zum Zeitpunkt seines Erscheinens, ist das Buch ein Anachronismus. Retro. Die Zeit für Bücher mit Kurztexten ist vorbei. Wer gibt noch zwölf oder fünfzehn Euro aus, für eine Sammlung kurzer Texte, zumal man hochwertige kurze Texte auch mit wenigen Mausklicks erreichen kann? Ich jedenfalls kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein Buch mit Kurztexten gekauft habe – Romane, ja, aber Gedichte, Essays, short stories?

 

Mir soll es recht sein. Verlagere ich meine Kurztexte eben hierher, in den Blog. Hier brauche ich kein Jahr zu warten, bis sie rauskommen. Ihr braucht kein Geld auszugeben. Und nicht zuletzt spiele ich mir durch die zwanglose Leichtigkeit, mit der sich dieser Blog führen lässt, die Hände frei, um meine Schriftstellerei künftig voll und ganz auf meine Romane zu konzentrieren.

 

Deshalb Wehmut, ja, aber kein Bedauern. Höchstens darüber, dass ich wieder mal ein Spätzünder bin. Weil ich meinen Hintern noch auf einem Pferd wundgescheuert habe, während nebenan bereits Hochgeschwindigkeitszüge rauschten. Nun bin ich doch aufgesprungen. Und fühle mich wie ein Landstreicher, der sich auf einen Güterwaggon geschwungen hat. Beide Beine noch dran. Kribbeln im Bauch. Kindliches Grinsen.

 

Und das Bücherpaket, das ich aufschneide? Die Ewigkeit ist vorbei? Ein schöner Anachronismus. Ein liebevoller Abschiedsgruß. Und, wenn ich die Texte durchblättere und mit Freude feststelle, wie viele davon gelungen sind, ein Abschiedsgruß, auf den ich stolz bin.