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Übernimmt KI die Literatur?

Machen wir uns nichts vor: Jeder von uns hat bereits Texte konsumiert, die von Künstlicher Intelligenz geschrieben wurden. Ob in Zeitungen, Blog-Einträgen oder Tweets. Auch in der Literatur hält Künstliche Intelligenz mit rasender Geschwindigkeit Einzug. In den kommenden Jahren wird der Anteil von Büchern, bei deren Entstehung KI beteiligt ist, durch die Decke gehen.

 

Welche Rolle wird sie einnehmen? Wie ein Beifahrer im Auto?  Oder wird sie selbst nach dem Lenkrad greifen und die Menschen auf den Beifahrersitz schubsen? Das Ausmaß ihres Einflusses wird stark vom Genre abhängen. In den letzten Tagen habe ich mir ein wenig den Kopf zerbrochen. Und voilà, hier eine mögliche Reihenfolge:

 

1) Kinderbücher

Kinderbücher lassen sich als Literatur light bezeichnen: einfachere Handlungen, offensichtlichere Charaktere, überschaubare Komplexität. Kinderbücher können bereits jetzt von KI geschrieben werden – und werden es auch. Bloß die fehlende Kennzeichnungspflicht bzw. die Unmöglichkeit, KI-generierte Texte einwandfrei zu erkennen, verschleiern diese Tatsache.

 

2) Krimis

Das Formelhafte vieler Krimis und Thriller bietet für die KI eine perfekte Ausgangslage. Zudem hat sie Millionen Beispiele, die sie analysieren und auswerten kann, um typische Handlungsmuster und Charakterkonstellationen zu erkennen und neu zusammenzuwürfeln. Schon eine nachlässige Anfrage bei KI um eine Krimihandlung liefert Vorschläge, die den in Buchhandlungen aufliegenden Krimis in nichts mehr nachstehen.

 

3) Fantasy

Manche werden denken, dass Fantasy-Literatur durch ihre epische Breite eine härtere Nuss zu knacken darstellt. Aber in ihr kommt eine unschlagbare Stärke der KI voll zum Tragen: Worldbuilding. Wofür menschliche Autoren Monate benötigen, das Entwerfen von Welten mit Fauna und Flora, verschiedenen Spezies, politischen Hintergründen, historischen Ereignissen, magischen Systemen – KI liefert dergleichen auf Mausklick.

 

4) Science Fiction

Hier verhält es sich ähnlich. Aber anstelle von Fantasy-Welten können Planeten, Galaxien und technologische Erfindungen nach Belieben generiert werden. Wie könnte die String-Theorie zum Antrieb von Raumschiffen genutzt werden? KI hätte da schon eine Idee (siehe Anhang).

 

5) Historischer Roman

Künstliche Intelligenz kann, durch ihren Zugriff auf enorme Datenschätze, historische Umgebungen rekonstruieren. Von politischen Machenschaften und gesellschaftlichen Verhältnissen einer Epoche bis hin zu Details, etwa welche Beleuchtung in Innenräumen vorherrschte, welche Tabus und Gepflogenheiten galten, welche Grüße und Anreden gebräuchlich waren. Allein damit mausert sich KI zum unverzichtbaren Werkzeug für alle, die historische Romane schreiben.

 

6) Horror

Feinere Nuancen menschlicher Emotionen stellen KI immer noch vor Schwierigkeiten. Aber Angst – menschliche Angst hat sie kapiert. Ob sie in der Lage wäre, eine ikonische Horrorgestalt zu entwerfen, wer weiß? Aber die Grundzüge einer Handlung, die Menschen auf heilloser Flucht vor einer dunklen Bedrohung hertreibt, immer tiefer und aussichtsloser in die Ecke, bis zum großen Knall, liegt innerhalb ihrer Möglichkeiten.

 

7) Liebesromane

Einerseits folgen Liebesromane zumeist einem ebenso formelhaften Grundmuster wie Krimis. Während aber Spannungsliteratur verstärkt auf Fakten, Rätsel und Enthüllungen setzt (und damit ausdrückliche Stärken der KI), finden bei Liebesromanen weite Teile der Handlung in einem Widerspiel menschlicher Emotionen statt, bei dem KI wohl noch straucheln dürfte.

 

8) Literarischer Roman

Am literarischen Roman wird sich Künstliche Intelligenz am längsten die Zähne ausbeißen. Mit seiner Vorliebe für emotionale Zwischentöne, seiner oftmaligen Uneindeutigkeit, den nuancierten, komplexen, auch widersprüchlichen Charakteren und Perspektiven liegen viele seiner Kernbereiche außerhalb der Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz, und das auf absehbare Zeit.

 

Ist es nötig, zu erwähnen, dass es Krimis und Fantasy-Romane mit großer psychologischer Tiefe gibt, und Liebesromane in plattester Heftchenqualität? Nein, das wisst ihr auch selbst. Ohnedies wird die Grenze zwischen KI-Literatur (bei der KI einen Großteil des Entstehungsprozesses übernimmt) und Literatur aus vorrangig menschlichen Händen Kurven haben, schwammig sein und unklar. Sie wird wandern und sich bewegen.

 

Und jenseits von ihr wird es immer Raum geben für Menschen, die mit Authentizität und psychologischem Scharfsinn von einzigartigen inneren und äußeren Erlebnissen berichten.

 

 

 

 

 

Anhang

Um die Stärke von KI beim Erfinden von Welten zu demonstrieren, hier ein kleines Beispiel: Auf die Frage nach einer Möglichkeit, wie in einem Science-Fiction-Roman die String-Theorie zum Antrieb von Raumschiffen genutzt werden könnte, spuckte die KI (frei verwendbarer Bing-Chatbot auf GPT4-Basis) Folgendes aus:

 

Eine Zivilisation hat die String-Theorie verwendet, um eine Technologie zu entwickeln, die es erlaubt, die Dimensionalität des Raumes zu verändern. Sie hat dazu einen speziellen Apparat konstruiert, der als Dimensionalwandler bezeichnet wird. Dieser Apparat kann einen lokalen Bereich des Raumes mit einem starken elektromagnetischen Feld umgeben und so die Schwingungsfrequenz der Strings in diesem Bereich beeinflussen. Durch eine präzise Abstimmung des Feldes kann der Apparat den Strings verschiedene Modi aufzwingen und so die effektive Anzahl der Dimensionen in diesem Bereich erhöhen oder verringern.

 

Die Zivilisation nutzt diese Technologie für verschiedene Zwecke. Zum einen kann sie damit interstellare Reisen durchführen, indem sie ihr Raumschiff mit einem Dimensionalwandler ausstattet und so von einem vierdimensionalen Raum zu einem zehn- oder elfdimensionalen Raum übergeht. In diesem höherdimensionalen Raum kann das Raumschiff kürzere Wege zwischen verschiedenen Punkten im vierdimensionalen Raum nehmen und so große Entfernungen in kurzer Zeit überwinden. Zum anderen kann sie damit exotische Formen von Energie und Materie erzeugen, indem sie Strings in verschiedenen Modi miteinander interagieren lässt. Diese Formen von Energie und Materie haben Eigenschaften, die im vierdimensionalen Raum nicht möglich sind, wie zum Beispiel negative Masse oder negative Energie.